(p.86)Tauben Rassenvielfalt und der Sport Manche Fachleute unterscheiden allein in Europa gut 50, andere sogar über 100 Hauptrassen von Haustauben; sie alle stammen von der wilden Felsentaube ab, die im Mittelmeerraum, in Nordafrika und in weiten Teilen Asiens beheimatet ist. Unsere gewöhnliche Haustaube gleicht der Wildform nicht allein im Aussehen, auch in manchen Gepflogenheiten; sie horstet z.B. nie in Bäumen, sondern im Gemäuer, an unseren Steinbauten und besonders gern in Ruinen: offenbar ist dies ein Erbgut des in Felsennischen hausenden Urahns. Auf diese Weise wird auch verständlich, dass die Tauben unserer Städte leicht verwildern, eigentlich nur Futtersucher und Quartiernehmer beim Menschen sind. Aber schon in früher Zeit fand der Mensch Gefallen an den hübschen Taubenvögeln, die seine Siedlungen umflogen und die ihm als Sinnbild der Sanftmut, des liebevoll Friedfertigen erschienen. Der objektive Beobachter weiß allerdings, dass die ’Turteltauben-Zärtlichkeit’ nicht ganz stimmt. Zwar kosen und gurren die verliebten Taubenpaare; doch sie neigen auch zur Tyrannei, mitunter zur Brutalität. Im Gegensatz zur Schwanin nehmen es diese Weibchen mit der Treue nicht genau, sind auch nicht immer hingebungsvolle Mütter. Aber wir wollen nun von Taubenzucht und Rassenvielfalt sprechen. Überall auf dem Land, in Laubenkolonien, ja mitten in der Stadt baut man aus ein paar Brettern irgendwo einen Taubenschlag. Die Ernährung ist verhältnismäßig billig, und wenn das hochgelegte Wochenrevier sauber und frei von blutsaugenden Milben gehalten wird, glückt meist bald die Zucht. Sie ist zu einer dem Laien kaum vorstellbar großen
(p.87)Liebhaberei geworden, zu einem Züchtersport mit festen Regeln und Gesetzen. Die Länge der wilden Felsentaube beträgt 34 cm; die kleinste deutsche Zuchttaube, das Möwchen mit der weißen Brustkrause und den Nasenwarzen am Schnabel, misst nur 26 cm, wogegen einem Züchter bei Nürnberg 1954 eine wahre Riesenform gelang: sie hat 1,20 m Flügel- Spannweite und 55 cm lang, übertrifft also größenmäßig den Habicht. Es gibt sehr schlanke und grotesk gedrungene Rassetauben, Züchtungen mit glatt anliegendem Gefieder, auch mit Mähnen, Perücken und listigen Hauben. Manche haben an der Stirn ein Federsträußchen, andere auch Rosetten oder steife Federn Strümpfe und Hosen. Bei der ‘Berliner Langlatschigen’ sprießen horizontal nach links und rechts, ummittelbar über dem Boden, wahre Federfächer; sie wachsen an der Außenseite der Vorderzehen und der Beine. Aus Blau, Schwarz, Rot, Gelb und Weiß entstanden in der Befiederung der Zuchttauben vielfältige Tönungen, Schmuckfarben und Zeichnungen; es gibt gesprenkelte, getigerte und großgefleckte Tauben, buntschillernde und schlicht einfarbige. Ihre Namen sind oft seltsam: Koburger Lerche, Tümmler, Kröpfer (besonders auffallend durch den schlanken Körper, die langgefiederten Füße und den überdimensional geblähten Kropf, der das Köpfchen fast verschwinden lässt), Deutscher Indianer, Malteser, Nürnberger Badgette und Trommler, dessen Stimmäußerung als einzige kein Girren oder Gurren ist, sondern wirklich ein langrollendes Trommeln. Den Schmalkaldener Mohrenkopf dürfen wir nicht vergessen, noch weniger die Warzentauben; denn zu ihnen gehört als Höhepunkt aller Taubenvogelzucht – die Brieftaube.