(p.163) In meiner Kindheit hatte ich viele und sehr bunt kolorierte Bilderbogen; mein Großvater, der nichts wegwerfen konnte, muss sie sich aus seiner eigenen Jugend aufbewahrt haben. Auf einer der ‘Helgen’ knabberten zwei geschenkte Tierchen an einer gelben Rübe
(p.164)und darunter stand: Das Möhrenschwein. So kam es, dass mein Bubenherz arg entrüstet war, als der Lehrer mir bei einem Aufsatz zwei dicke rote Striche unter dieses Wort machte und mit einem Ausrufezeichen an den Papierrad schrieb: »Kam über Meer zu uns.« Ich bin kein sprachforscher, muss aber zugeben, dass diese letztere Namensdeutung wohl stimmen wird. Denn neben dem Truthahn ist auch das Meerschweinchen (und zwar schon als gezähmtes Haustier) ein Geschenk Amerikas an Europa. Im 16. Jahrhundert brachten es die Holländer über Meer; sie erzählten, diese kurzbeinigen, fetten Schweinchen würden bei Inkas gezüchtet und mit Vorliebe aufgegessen. Von hinten sieht das verhältnismäßig schnell trippelnde Tierchen wahrhaftig aus wie ein kurzbehaartes Liliput-Schwein, bloß dass ihm der Ringelschwanz fehlt. Es kann auch grunzen und, in der Angst und Aufregung, hell quicken. Bei guter Laune murmelt das Meerschweinchen; ich freue mich jedes Mal an diesem ‘Gesang der Behaglichkeit’. Wir wollen den Goldhamster nicht kränken, der später noch vorgestellt wird; aber für mich ist das Meerschweinchen unser liebenswürdigstes und gutmütigstes Kleinsäuger-Haustier. Es wird ungemein anschmiegsam, folgt bald auf Ruf und ‘erzählt’ dem vertrauten Menschen alle seine Gemütsstimmungen. Für anständig erzogene, duldsame Kinder ist es ein wirklicher Spielkamerad, dessen Wartung und Pflege keinerlei Schwierigkeit bereitet; man kann das völlig geruchlose Meerschweinchen unbesorgt in jeder Stube halten. Die fahl-graubräunliche Wildform hat durch die Haustierzüchtung mancherlei Farb- und Fell-Umwandlungen erfahren: es gibt bekanntlich schwarz-, gelb- und weißgescheckte, auch einfarbig braune, tiefschwarze und ganz weiße Meerschweinchen. Das glatte Fell bekommt das Angora-Meerschweinchen, das sein langes Seidenhaar auf dem Boden schleift. Wir heutigen Menschen schulden übrigens den Meerschweinchen Dank und hohe Achtung; sie dienen uns in Mengen zu Impfversuchen und zu r Medikament- Erprobung. Das gleiche gilt für die Kaninchen (Volksmund-Wort ‘Versuchskaninchen’) und für andere Kleintier-Arten.